Mediologie des Kontrafaktischen
Das Projekt richtet sich auf das Genre der alternate history in zeitgenössischer Literatur, Film und TV-Produktionen. Allgemein reflektiert das populäre Genre im Erzählen der nicht eingetretenen Möglichkeiten die Kontingenz der Geschichte und hinterfragt historiografische Metaphern. Dabei bilden im kontrafaktischen Erzählen fast immer Medien ein zentrales Motiv, oft ist es selbstbezüglich und thematisiert seine eigene Medialität. Die These des Projektes ist, dass in dieser Metamedialität das Bewusstsein der Medialität von Geschichtswahrnehmung und der medialen Verfasstheit des Erzählens von Geschichte demonstriert wird. Das historische Bewusstsein wird dadurch mit einem ambivalenten Möglichkeitshorizont aufgeladen, und zwar nicht um die historische Faktizität und die Gewalterfahrungen zu negieren. Vielmehr zielt die kontrafaktische Mediologie auf ein Bewusstsein einer irreduziblen Ambiguität von Geschichte, das Ausgrenzungsdiskurse wirksam unterlaufen kann.
Caspar Battegay ist Privatdozent für Neuere Deutsche und Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Basel. Zudem ist er Dozent für Kultur und Kommunikation an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er promovierte 2009 an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg mit einer Arbeit zum Diskurs des Blutes in der deutsch-jüdischen Literatur (Heine, Buber, Rosenzweig, Kafka). Danach war er Assistent am Zentrum für Jüdische Studien der Universität Basel. Lehraufträge führten ihn an die Karl-Franzens-Universität Graz, die ETH Zürich und die Universität Bern. Zwischen 2014 und 2017 war er „Ambizione“-Fellow an der Section d’allemand der Universität Lausanne mit einem Forschungsprojekt zur literarischen Utopie im 20. Jahrhundert. Zurzeit beschäftigt er sich mit dem Genre der alternate history sowie mit der Semiotik des Essens in verschiedenen Medien. Seit 2015 ist er Mitglied der Jungen Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
„Mediologie des Kontrafaktischen in Christian Krachts Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, in: Heinz Drügh, Susanne Komfort-Hein (Hg.), Christian Krachts Ästhetik, Stuttgart (in Vorbereitung); Geschichte der Möglichkeit. Utopie, Diaspora und die „jüdische Frage“, Göttingen 2018; „Zeitbrüche. Kontrafaktisches Erzählen der Shoah“, in: Esther Kilchmann (Hg.), artefrakte. Auseinandersetzungen mit Holocaust und Zweitem Weltkrieg in experimentellen Verfahren in Kunst und Literatur, Köln/Weimar/Wien 2016, S. 283–300.
Buchvorstellung und Gespräch:
Im 20. Jahrhundert entsteht eine Vielzahl an Utopien, die durch technische oder ökonomische Projekte die Optimierung der Menschheit imaginieren. Dazu gehören auch der Zionismus und seine Literatur, die eine Lösung der sogenannten „jüdischen Frage“ durch einen eigenen (National-)Staat vorstellt. Dass daneben zahlreiche utopische Texte existieren, die das Judentum gerade als eine Gemeinschaft in der Diaspora konzipieren, ist heute oft in Vergessenheit geraten. Weiter
Caspar Battegay Um-Deutung, Um-Erzählung, Dekontextualisierung. Die Shoah in der Gegenwart
Donnerstag, 28. Jänner 2021, 18.30 Uhr
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https://us02web.zoom.us/j/87650385118?pwd=VzJRUllGT0M4TWJkOTdoMm5LaStIUT09
Im Frühling 1942 erobert die deutsche Wehrmacht Moskau. Dies ist eine der „nicht eingetretenen Lieblingssituationen“ des Erzählers von Roberto Bolaños Roman „Das Dritte Reich“ in seinem Strategie-Brettspiel. Der Vortrag geht auf solche Motive des Spiels im kontrafaktischen Erzählen ein und reflektiert den theoretischen Zusammenhang von Erzählen und Spielen.