Gesellschaft als Übersetzung
Bachmann-Medicks Projekt arbeitet Ansätze der kulturwissenschaftlichen Übersetzungsforschung auf einer umfassenderen Ebene weiter aus: Entwickelt wird eine Neusicht von Gesellschaft als Übersetzungszusammenhang. Ausgangspunkt sind gesellschaftliche Schlüsselszenarien (Migration, Menschenrechtskontroversen, transkulturelle Kontakte, Disziplinenverflechtungen, Wechselbeziehungen von Wissenschaft und Kunst – insgesamt soziale »trading zones«). Übergänge, Bruchzonen und Kontextwechsel fordern hier Übersetzung als Analysekategorie heraus, aber auch als Handlungskategorie. Als gesellschaftskonstituierende Praxis ist Übersetzung erst über ein erweitertes, mehrpoliges Verständnis zu entfalten. Übersetzungsprozesse werden daraufhin untersucht, wie sie über den Rückbezug auf ein »Original« hinaus weiterführende gesellschafts- und handlungsorientierende Referenzbezüge eröffnen. Wird Übersetzung in der Gegenwart als Reflexionskategorie und Handlungsmodus gesellschaftlicher Vermittlungsverhältnisse unverzichtbar?
Doris Bachmann-Medick ist Literatur- und Kulturwissenschafterin und Senior Research Fellow am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Universität Gießen. Gastprofessuren hatte sie unter anderem an den Universitäten Graz, Göttingen, UC Irvine, Cincinnati, Georgetown University/Washington, D.C., inne. Ihre Forschungsgebiete sind Kulturtheorie, Kulturwissenschaften, Literarische Anthropologie und Translation Studies.
gem. mit Jens Kugele und Ansgar Nünning (Hg.), Futures of the Study of Culture. Interdisciplinary Perspectives, Global Challenges, Berlin, Boston 2020 (Druckausgabe und Open Access); gem. mit Jens Kugele (Hg.), Migration. Changing Concepts, Critical Approaches, Berlin, Boston 2018; Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, 6. Aufl., Reinbek 2018 (engl. Cultural Turns. New Orientations in the Study of Culture, Berlin, Boston 2016; polnisch 2012; russisch 2017; koreanisch 2021).
Gesellschaft lebt von Übersetzungsvorgängen. Nicht nur von Sprach- und Textübersetzung, sondern vor allem von sozialer und kultureller Übersetzung. Doch müsste hier nicht ein neues Übersetzungsverständnis entwickelt werden, das der traditionellen Zweipoligkeit entgegensteht und neue Handlungsmöglichkeiten freisetzt?