HR Giger Archiv und Humboldt-Universität zu Berlin
Vom Bauchpanorama über das Kugelgelenk zur Anatomie des Bildes. Zu Hans Bellmers Puppenprojekt (1933–1975) und seiner Theorie des körperlichen Unbewussten
Hans Bellmer setzte sich in seinem Puppenprojekt mit den Transformationsgesetzen unserer Körperbilder auseinander und konstruierte dafür eine transanatomisch, vielfach kombinierbare unheimliche Gliederpuppe. Innerhalb dieses Puppenprojekts entwickelte Bellmer eine Anatomie des körperlichen Unbewussten und des Bildes, in der er ausgehend von bestimmten Strukturmodellen, wie der kardanischen Aufhängung, Anagrammen oder Primzahlen primäre Körperformationen zu bestimmen versucht, um darüber die Grundmuster sowohl der Körpervorstellung als auch der Symbolbildung zu erkunden. Er folgt dabei der Annahme, dass »die verschiedenen Ausdruckskategorien aus ein und demselben Mechanismus heraus geboren werden« und eng mit der bilateralen Symmetrie des menschlichen Körpers und seiner Orientierung im Raum verknüpft sind. Dadurch wird deutlich, dass Bellmers Puppenprojekt mit spezifischen Interessen an der Orientierung in und durch Bilder in Zusammenhang steht, womit auch weitreichende bildtheoretische Fragen aufgeworfen sind.
Elisabeth Sedlak ist Doktorandin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien. Sie hat Kunstgeschichte, Kultur- und Sozialanthropologie und Deutsche Philologie an der Universität Wien und an der École du Louvre in Paris studiert und abgeschlossen mit einer Arbeit zu Henri Langlois’ imaginärem (Film-)Museum. Von 2018 bis 2022 DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Wien. Von 2021 bis 2022 ist sie Gastwissenschafterin bei eikones, dem Zentrum für die Theorie und Geschichte des Bildes an der Universität Basel, und am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris, ermöglicht durch das Marietta-Blau-Stipendium des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Forschungsinteressen: Geschichte und Theorie der (Neo-)Avantgarde (Surrealismus, Wiener Gruppe und ihr Umkreis), Literatur und Kunst der Spätromantik und Nachkriegszeit, Bildtheorien, Anagrammtheorien, Theorien der Metapher.
»Zahlendreher. Zu Dieter Roths Mundunculum und Hans Bellmers Puppenprojekt«, in: Thomas Eder, Florian Neuner (Hg.), Dieter Roth. Zum literarischen Werk des Künstlerdichters, (= neoAVANTGARDEN Band 14), München: edition TEXT + KRITIK 2021, S. 132–170.
Die Gliederpuppe aus Hans Bellmers bekannten Fotoserien hat nur eine linke Hand. In Anbetracht ihrer oftmaligen kopflosen Vierbeinigkeit nur ein nebensächliches Detail? Dieser linken Hand fehlt aber nicht nur ihr Gegenpart, auch jeder ihrer Finger ist merkwürdig angespannt. Drückt sich in dieser Geste ein Körperbefinden aus – oder gar das Phantom einer rechten Hand?