Entgrenzte Genealogien: Verwandtschaft-Machen zwischen populärer Praxis, Geschichtskultur und Techniken der Biomacht seit dem 19. Jahrhundert
Elisabeth Timms Untersuchung von Genealogie konzentriert sich auf die Intersektionen von ""Familienforschung"" zwischen populärer Kultur und wissenschaftlicher Methode. Diese formierte sich seit dem 19. Jahrhundert, damals zuerst in Vereinen, heute vor allem als nicht-institutionalisierte und informell über das Internet vernetzte Praxis.Die ersten kultur- und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen populärer Genealogie in den 1980er- und 1990er-Jahren waren entweder indirekt noch von der These eines Zerfalls der Familie in der Moderne geprägt und interpretierten diese dementsprechend als kompensatorische Wieder-Verortung der Subjekte in der Konfrontation mit gesellschaftlichem Wandel oder sie führten populäre Genealogien auf ein Trickle-down wissenschaftlich-rassistischer Politiken zurück. Im Unterschied zu dieser in Tradition der Soziologie Émile Durkheims und Talcott Parsons' stehenden Deutung von Familie als dem Anderen von Gesellschaft und im Unterschied zu einem Konzept, das Populärkultur nur als Effekt von Macht denken kann, lenkt Elisabeth Timm in ihrem Projekt den Blick auf die Verwobenheit von populärer wie wissenschaftlicher ""Familienforschung"" mit gesellschaftlichen Prozessen.Die Analyse zweier Fälle von Genealogie - die von steirischen Pfarrern in der Zwischenkriegszeit initiierte Bewegung der ""Volksgenealogie"" und die gegenwärtige populäre ""Familienforschung"" in Österreich - soll zeigen, inwiefern das Begehren der Subjekte nach (einer meist viele Jahrhunderte zurückreichend dokumentierten) ""Familie"" mit Formen und Politiken kultureller und sozialer Ordnung (etwa der aktuellen sozialen, zeitlichen und räumlichen Entgrenzung von ""Familie"") korrespondiert.
Elisabeth Timm ist Universitätsassistentin am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien. Sie studierte Empirische Kulturwissenschaft und Ethnologie in Tübingen und promovierte 2001. Ihre Habilitationsforschung widmet sich dem Thema "Die Verwandtschaft der Genealogie. Studien zur Sozialgeschichte und Kulturanthropologie der Ahnenforschung".
(u. a.): Ich bin Glied einer Kette: Entgrenzung, Personalisierung und Gouvernementalität von Verwandtschaft am Beispiel der populären Genealogie, in: Erdmuthe Alber u. a. (Hg.), Verwandtschaft heute, Berlin 2009 ; gem. mit Karin Harrasser und Helmut Lethen (Hg.), Sehnsucht nach Evidenz, Bielefeld 2009 (Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1, 2009); gem. mit Heidi Rosenbaum, Private Netzwerke im Wohlfahrtsstaat. Familie, Verwandtschaft und soziale Sicherheit im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Konstanz 2008."