»A Place of Rage«. Weibliche Gewaltfantasien in der Kriminalliteratur der Gegenwart
Über fiktive weibliche Gewalt nachzudenken bedeutet, nach den Gewaltfantasien einer Gruppe von Menschen zu fragen, die historisch betrachtet einer erschreckenden Kontinuität von Gewalt ausgesetzt war, und die, was den Umgang mit Gewalt und Verteidigung betrifft, in einer tödlichen Unwissenheit und Wehrlosigkeit gehalten wird. Elsa Dorlins Philosophie der Selbstverteidigung folgend beginnt das Politische in der Intimität der Fantasie, in der Art und Weise, wie Gewalt imaginiert wird, an dem Ort, den die Dichterin June Jordan «a place of rage» nennt. Die Kriminalliteratur der Gegenwart kann solch ein Ort sein, an dem Widerstände ausgedacht und eingeübt werden. Fantasien, die imaginäre Gegengewichte bilden zur Vorstellung von Frauen als verfügbare und verwundbare Körper. Diese Formen von Widerstand müssen als mehr als ein Begehren nach Selbstermächtigung gedeutet werden – es geht um das Einfordern einer neuen Realität und eine Veränderung in den Koordinaten des Möglichen und Denkbaren.
Fiona Wachberger ist Doktorandin in Literatur- und Kulturtheorie an der Universität Tübingen und Teil des deutsch-französischen Graduiertenkollegs »Neue kritische Theorien und dezentralisierte Epistemologien« der Université Toulouse II Jean Jaurès. Nach einem Studium in Philosophie, Hermeneutik und Politologie an der Universität Zürich und der Zeppelin Universität untersucht sie in ihrem Dissertationsprojekt weibliche Gewaltfantasien in der Kriminalliteratur der Gegenwart als Orte des Widerstands und des Begehrens. Seit dem Frühjahr 2022 lehrt sie politische Philosophie am Philosophischen Seminar der Universität Luzern, wo sie auch als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig war. Ihre Forschungsinteressen gelten der Inszenierung und Verhandlung von Gewalt und Geschlecht in unterschiedlichen Medien und der kulturphilosophischen Erforschung und Erschließung von Widerstands- und Selbstverteidigungspraktiken.
»Women's Fantasies of Violence and Self-defence in Contemporary Literature«, in: Simona Feci und Laura Schettini (Hg.), Towards a History of Women's Self-defence against Gender-based Violence. Roma: Viella Libreria Editrice [forthcoming].
»Mörderinnen: Motiv und Geschlechtervorstellungen in der Kriminalliteratur. Ein deutsch-polnischer Vergleich am Beispiel von Olga Tokarczuks Der Gesang der Fledermäuse (2009) und Stephan Ludwigs Zahltag (2020)«, in: Wolfgang Brylla und Maike Schmidt (Hg.), Der Frauenkrimi in Ost und West. Diskursive Verhandlungen einer Subgattung, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Verlage 2023, S. 333–349.