Ian W. Wilson
Fulbright ifk_Junior Fellow


Zeitraum des Fellowships:
01. Oktober 2000 bis 30. Juni 2001

Die Untoten in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur



PROJEKTBESCHREIBUNG

Die "Untoten" (Vampire, Gespenster, Golem, Monster, Automaten usw.) spielen eine wichtige Rolle in der Geschichte der Literatur. Vermittelt durch den englischen "Gotischen Roman", durch Hoffmann, Poe und Gautier, durch Stoker, LeFanu, Hofmannsthai und Meyrink u.a., haben die Untoten in unseren literarischen Träumen gespukt. Immer überschreiten diese Kreaturen Grenzen: jene von Geschlecht, Sexualität, Religion, Moral; jene von Körper, Subjekt, Zeit, Wirklichkeit. Natürlich ist die Hauptgrenze, die überschritten wird, jene der Sterblichkeit. Solche Überschreitungen destabilisieren diese Grenzen; sie stellen Grenzen in Frage. Meine Arbeit untersucht die Möglichkeit, daß Texte mit den Untoten auch andere Grenzen- jene des Textes- in Frage stellen könnten.

Meine Hauptthese ist, daß die Untoten ein Ausgangspunkt der Offenheit für Leser oder Zuschauer werden können: Die Figuren der Untoten spuken in unseren Köpfen herum lange nachdem das Buch oder der Film geendet hat. Ich nenne das den "untoten Text", einen Begriff, den ich mit Hilfe zeitgenössischer Begriffe des literarischen Textes entwickelt habe, vornehmlich jenen von Roland Barthes. Mein Ziel ist, die Figuren und Themen von Texten mit Untoten als Spiegelbilder von Elementen literarischer Struktur zu verstehen. Obwohl ich finde, daß diese Reflexion in fast allen Texten mit Untoten auf irgend eine Art und Weise stattfindet, interessiere ich mich für eine bestimmte Form der Intensivierung des Verhältnisses zwischen solchen Figuren und literarischer Struktur in den Romanen der letzten zwanzig Jahre. Ich möchte das Erscheinen der Untoten in der zeitgenössischen Literatur auch theoretisch erklären. Dazu wende ich die Ideen von Theoretiker/Innen wie Jean Beaudrillard, Jacques Derrida, Julia Kristeva u.a. an.

Meine Doktorarbeit konzentriert sich auf die literarische Prosa der letzten zehn Jahre, die in Deutsch, Französisch und Englisch sprechenden Ländern erschienen ist. Ich zeige, daß das Erscheinen dieser Kreaturen vielen der theoretischen Interessen der Postmoderne korrespondiert, besonders deren Erzähltheorien. Auf die lange westeuropäische Tradition der Untoten und auf Theorien des Postmodernismus gestützt, analysiere ich drei Hauptwerke: John Edgar Widemans The Cattle Killing (1996), Marie Darrieussecqs Naissance des fantômes (1998) und Elfriede Jelineks Die Kinder der Toten (1995). Obgleich ich mich in meiner Arbeit speziell auf neuere literarische Werke konzentriere, ist diese doch durch viele andere Disziplinen neben dem Studium der Literatur beeinflußt worden, wie durch Filmstudien, Kunstgeschichte, Medienstudien, Philosophie und Geschichte.

In Wien werde ich jenen Teil meines Projekts betonen, der die literarischen Szenen der letzten dreißig Jahre in Deutsch sprechenden Ländern einschließt (Autoren wie Elfriede Jelinek, Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Marie Luise Kaschnitz, Adolf Muschg, Hans Lebert, Franz Hohler und Hartmut Lange). Ich hoffe in Wien auch noch andere Autoren zu entdecken, die aktuell mit Untoten arbeiten. Ich hoffe insbesondere, Arbeiten von Autoren zu finden, die Minderheiten darstellen und die die Untoten (oder die literarische Phantastik) als Mittel einsetzen, um von ihrer zeitgenössischen Situation zu sprechen. Ich hoffe auch, meine Arbeit durch aktuelle Materialien fundieren zu können- Doktorarbeiten, literarische und kulturelle Zeitschriften, Aufführungen und Ausstellungen - , die in den Vereinigten Staaten nicht erreichbar sind. Das Literaturhaus in Wien, mit seiner Sammlung von zeitgenössischer Literatur und Kommentaren, wird meinem Projekt von großem Nutzen sein. Ich erwarte auch, daß das IFK und sein Forschungsschwerpunkt "Imagined Communities - Gedächtnis, Erfahrung, Innovation" eine optimale Gelegenheit bieten, mein Projekt und mich selbst um intellektuelle Erfahrungen zu bereichern.



CV

Ian Wilson, geb. 1971 in Beverly/Massachusetts USA. Er hat an der Universität von Wisconsin in Madison Deutsch und Vergleichende Literatur studiert und ist jetzt Student an der Universität von North Carolina in Chapel Hill. Er plant sein Studium 2002 mit dem Grad Ph.D. abzuschließen. Der Titel seiner Doktorarbeit in Vergleichender Literaturwissenschaft ist "Illegible Deaths: Narrative Strategies in the Contemporary Novel of the Undead".



Publikationen

Irony, Self-Translation and the Text of Samuel Beckett's "Company" / "Compagnie", Canadian Review of Comparative Literature 26, (1999, p. 94-106).