Inka Mülder-Bach
ifk Senior Fellow


Zeitraum des Fellowships:
01. März 2002 bis 31. Mai 2002

Die Figur des "Dritten"



PROJEKTBESCHREIBUNG

In demselben Maß, in dem in den für die Kulturwissenschaften relevanten Theorieentwicklungen der letzten Jahrzehnte einerseits binäre Schemata in Frage gestellt, andererseits kommunikative Prozesse auf ihre materialen und medialen Voraussetzungen hin untersucht worden sind, hat sich die Figur des Dritten in den Vordergrund gedrängt. Traditionell in der Rolle des Ausgeschlossenen (tertium non datur), ist sie heute zu einem Hauptdarsteller avanciert, ohne den kulturelle Semantiken und Prozesse kaum noch zu denken sind. In unterschiedlichen Ausprägungen- als Struktur, Position oder Gestalt- meldet sie sich in den psychoanalytischen Modellen der Triangulierung ebenso zu Wort wie in Rene Girards Theorie der Mimesis, im differance- Denken des Poststrukturalismus, dem systemtheoretischen Begriff der Paradoxie, dem Parasiten Michel Serres', dem dritten Geschlecht der Genderforschung und denTrickster-und Hybridisierungsdebatten der postcolonial studies.

Daß in diesen theoretischen Kontexten literarische Texte eine prominente Rolle spielen, ist kein Zufall. Denn nicht nur sind in der Literatur von jeher Boten und Übersetzer unterwegs, und nicht nur hat die Literatur eine enge Affinität zu jenen Zwischenzonen und Mischgestalten, die die klassifikatorischen Ordnungen irritieren. Vielmehr hat insbesondere die erzählerische Prosa der Moderne in ihrer Entfaltung der kulturellen Dynamik des Begehrens, der Übertragung und Vermittlung ein differenziertes Instrumentarium entwickelt, um jene Figur sichtbar werden zu lassen, die gegenwärtig von besonderem Interesse ist: die Figur des Beziehungsexperten bzw. die Struktur des Bezugs selbst, die als ein zugleich vermittelndes und störendes Drittes immer schon dort hinzu- bzw. dazwischengetreten ist, wo zwei Instanzen oder zwei Seiten aufeinander bezogen sind. Die Perspektiven, die die gegenwärtige theoretische Debatte eröffnet, sollen im Rahmen des hier skizzierten Projekts aufgegriffen zu werden, um in einer Re-Lektüre ausgewählter literarischer Texte nach dem Ort und der Funktion dieser Figur in der Kultur der Moderne zu fragen.



CV

Professorin für Neuere deutsche Literatur, Universität München.  Gast- und Vertretungsprofessuren in New York, Berlin und Düsseldorf.



Publikationen

Herausgeberin der Schriften Siegfried Kracauers. Buchveröffentlichungen: Siegfried Kracauer- Grenzgänger zwischen Theorie und Literatur (1985); Daf Modell der Statue und die Entdeckung der "Darstellung" im 18. Jahrhundert (1998); (Hg.) Modernität und Trauma. Beiträge zum Zeitenbruch des Ersten Weltkriegs (2000).