Jürgen Trabant
ifk Gast der Direktion


Zeitraum des Fellowships:
01. März 2008 bis 31. Mai 2008

Ist die europäische Mehrsprachigkeit am Ende?



PROJEKTBESCHREIBUNG

Die Geschichte des europäischen Sprachdenkens ist geprägt von dem Gegensatz von Einheit und Verschiedenheit der menschlichen Sprache. Die beiden Pole sind mit den mythischen Orten "Paradies" und "Babel" markiert und tief ins europäische Bewusstsein eingeschrieben, wobei das Paradies positiv und Babel durchaus negativ konnotiert ist. Erst die neuzeitliche Sprachreflexion hat versucht, Babel nicht als Strafe, sondern als Entfaltung einer wunderbaren Vielfalt des menschlichen Geistes zu denken. Von dieser Positivierung der sprachlichen Vielfalt ist auch noch der offizielle sprachpolitische Diskurs der europäischen Institutionen getragen. Sprachliche Vielfalt, so heißt es, sei gerade ein Charakteristikum europäischer Kultur und müsse daher gefördert und gepflegt werden. Das tatsächliche politische und kulturelle Handeln aber, das vorrangig wirtschaftlichen Imperativen gehorcht, setzt auf sprachliche Vereinheitlichung und nutzt dabei die alte europäische Sehnsucht nach dem Paradies bzw. die alte europäische Überzeugung, dass sprachliche Vielfalt eigentlich eine Katastrophe und Strafe ist. Es geht daher heute mehr denn je darum, Perspektiven einer Theorie (und Politik) europäischer Mehrsprachigkeit zu entwickeln. Jürgen Trabant meint, dass der europäischen Sprachreflexion von Anfang an das Ende der Sprache eingeschrieben ist. Er geht dem Ende der Sprache nicht nur auf der Ebene der Einzelsprachen, sondern auch auf der Ebene der Individuen und der Menschheit nach. Ist der Mensch tatsächlich, wie Wilhelm von Humboldt meinte, nur Mensch durch Sprache? Erst nach dieser Klärung entfaltet die Frage nach dem Ende der europäischen Mehrsprachigkeit ihre ganze anthropologische Tiefe.



CV

Jürgen Trabant ist Professor für Romanische Sprachwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Gastprofessuren an der Stanford University (1988/89, 1991), Universität Leipzig (1992), University of California, Davis (1997), EHESS-Paris (1998, 2003), Limoges (2003).



Publikationen

 u. a.: Was ist Sprache?, 2008; Cenni e voci. Saggi di sematologia vichiana, Neapel 2007; Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens, München 2003; Der Gallische Herkules. Über Sprache und Politik in Frankreich und Deutschland, Tübingen 2002.