Krassimira Kruschkova
ifk Junior Fellow


Zeitraum des Fellowships:
01. Mai 1995 bis 30. Juni 1995

Der Theoretiker als Rhetoriker: Anagrammatologie: Die Figur des Übersetzens bei Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin und Jacques Derrida



PROJEKTBESCHREIBUNG

Läßt sich das plurizentrische, mehrsprachige Denkszenarium des 20. Jahrhunderts durch sprachphilosophische Figuren des Übersetzens transkribieren? Wird die Figur des Theoretikers als Figur des Rhetorikers 'anagrammatisiert', indem das theoretische Interesse der Gegenwartsphilosophie immer mehr der rhetorischen Performance der Schrift gilt? Setzt das Anagrammatische einen Sinn in die Welt, nur insofern es ihn in die Szene der Schrift über-setzt? Der Begriff 'Anagrammatologie' gilt hier als inter- und intratextueller Schauplatz von vertauschten 'lettres' (Buchstaben und Botschaften zugleich), als schwebender Schnittpunkt der Figuren des Übersetzens bei Friedrich Nietzsche, Walter Benjamin und Jacques Derrida.

Benjamins Aufgabe des Übersetzers "besteht darin, diejenige Intention auf die Sprache, in die übersetzt wird, zu finden, von der aus in ihr das Echo des Originals erweckt wird." Diese Figur des Übersetzens als Echolalie, dieses Durchblättern der Seiten als seien sie Saiten, läßt sich - vom Geiste der Musik vielleicht - in Nietzsches Ewige Wiederkunft zurücktranslieren: Als die präzis unvollendete Translation des Echos eben, der zerstreuten Aufmerksamkeit, der innigen Hinwendung, der aufgegebenen (im doppelten Wortsinn) Hingabe jeder sinnübersetzenden Stimme. Auch die Lautschrift transkribiert das Widerhallen mit dem Zeichen des Doppelpunkts [: ], mit dem Doppelpunkt, der für jeden Gestus des Translierens steht. Nietzsches Wille zur Macht verfügt über Setzungsmacht, gestikuliert als performatives Übersetzt-Werden der Welt ohne Original, ein Werden, dessen Instanz die Distanz ist, ein ÜberSetzen, ein Steigern der Differenz. Denn, so Nietzsche in Über Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne: "Jeder Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen". Könnte dieses Entstehen für den differenzierend gleichsetzenden Gestus des Übersetzens stehen, so sollte man die Figur des Übersetzens metaphorisch verstehen, als Metapher nämlich, da auch sie für ein Anderes steht und dieses Andere somit nicht ersetzt, sondern übersetzt, überträgt. Dem Zug der Entziehung folgend schwingt Nietzsches "Wahrheit" bekanntlich als "ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen [ ... ] ", von Übertragungen, von Übersetzungen nämlich, von skandierten Grenzen, die sich die Macht, Sinn zu geben, nehmen. Im Echo dieses Skandierens hört Derrida - in Sporen. Die Stile Nietzsches - die "Folge eines notwendig differentiellen, also immer geteilten, gefalteten und vervielfältigten Willens zur Macht". Denn eine unendlich kleine, ja keine, nicht ex-pli-zierbare ist jene Falte (franz. pli) des Sinnes, die auch Derridas Dissemination eben 'disseminierend' im-pli-ziert. Denn falls "der unendlich kleine Augenblick die höhere Realität und Wahrheit ist, ein Blitzbild aus dem ewigen Flusse" (Nietzsche), "so berührt die Übersetzung flüchtig und nur in dem unendlich kleinen Punkte des Sinnes das Original" (Benjamin).

Das Echo jeder kommentierenden, jeder kontaminierenden, berührenden Stimme streich( el)t den Sinn des Originals. Und er verspricht sich nur, im doppelten Wortsinn: "Ich fürchte, wir werden Gott nicht los, weil wir noch an die Grammatik -glauben" (Nietzsche). Wo die Grammatik vor lauter Eitelkeit scheitert und als Echo lallt, findet da Dichtung als Stottern, als Dicht-Werden mehrerer Sprachen, als Übersetzen statt? Statt der 'Wahrheit' des Originals, immer schon mit Gänsefüßchen wie mit fremden Lippen bedeckt, indem die Schrift sich wie Gänsehaut vor jeder Autor-ität iterativ sträubt und ihren Sinn anagrammatisch streut und steuert zugleich? Das Hart-Werden der Metaphern in der tönenden Szeno-Graphie der Welt heißt das Flüssig-Werden des Sprachgebrauchs, das Vergessen (von) der metaphorischen Geburt der Begriffe. Dies muß das stete Übersetzen, das stotternde, nichtfließende Leben mit ausländischem Akzent verhindern, ein Leben, das wie eine fremde Sprache strukturiert ist. Denn wovon man nicht sprechen kann, damit sein Sinn nicht zerfließt, das muß man, vielleicht, überbrücken und übersetzen zugleich, also als ein Echo hören. Was sich wie ein Echo anhört, ist in seiner brüchigen Über-Setzung - pars pro toto - staccato rhythmisiert, als fächelte es Stimmen zu. Dieser Rhythmus sticht ins Gewebe des philosophischen Diskurses und läßt ihn lückenhaft gelten, fragmentarisch, poetisch: seine Zeile, seine Ziele nicht ganz er-füllend, die Intentionen als Intonationen anagrammatisierend: als eine "ammetaphore", wie Derrida in Des tours de Babel Benjamins Metapher der einzelnen Sprachen als Scherben einer Amphore eben 'ammetaphorisiert'.

Die sagen-haft stumme Figur der Waldnymphe Echo, die die Identität ihres (W)Ortes vermißt, indem sie nur als Echo von Narziß' Stimme da ist, ihre Rhetorik der Erotik gehört zu den widerhallendsten sprachphilosophischen Figuren des Übersetzens, will der Theoretiker als Rhetoriker gehört werden. Dieser Wille zur Anagrammatologie fächelt der Sprache den Lapsus, das Sich-Versprechen als versprechendes Echo anderer Sprachen zu und anagrammatisiert so die Macht autoritärer 'lettres', ihr GemachtSein. Denn Stottern souffliert man nicht. Von keiner Instanz. Im inter- und intratextuellen Niemandsland dieses Projekts hallt vielleicht noch eine Aisthesis der Polyphonie unserer lauten Zeit wider, deren Erzählungen nur in einem präzis vertrackten Plural zählen, in einem metasprachlichen Babylon. Dem Ineinanderübersetzen von drei seiner mehrsprachigsten Stimmen gilt die sprachphilosophische Aufmerksamkeit des Vorhabens. Die entgegenkommende Stimmung des IFK, die Resonanz seiner Workshops (ganz besonders "Literarische Mehrsprachigkeit") stimmen meine Arbeit am vorliegenden Projekt nicht nur in Freuds Sinne als Traumarbeit.



CV

Krassimira Kruschkova, Dr. phil., geb. 1964 in Bulgarien, studierte Theaterwissenschaft in Sofia; promovierte am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Wien über Sprachphilosophie bei Peter Handke; arbeitet derzeit an ihrer Habilitationsschrift und hat einen Lehrauftrag an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien.