Chaosmos des Persönlichen
Die künstlerisch-wissenschaftliche Forschung von Lena Ditte Nissen widmet sich konkret historischen, von Frauen verfassten nationalsozialistischen Texten und damit auch übergeordnet der Frage nach den Rollen von Frauen im Nationalsozialismus. Im Fokus stehen Schriften von Nanna Conti (*1881), Reichshebammenführerin unter Hitler, und ihrer Tochter Camilla Nissen (*1902), einer überzeugten Nationalsozialistin. Der familiäre Bezug der Forscherin, als Nachfahrin dieser beiden Frauen, ist ausdrücklich gewünscht und wichtiges Element der Untersuchung. Wie können die emotionalen Affekte und Gefühlserbschaften in der Konfrontation mit Täterschaft im Nationalsozialismus in der eigenen Familienhistorie im Rahmen einer künstlerischen Forschung sicht- und spürbar gemacht werden? Hierfür werden die verschiedenen Texte zunächst im Rahmen von ethnopsychoanalytischen Deutungswerkstätten experimentell untersucht, deren Ergebnisse dann im Transfer in künstlerische Produktionen nochmals hinterfragt und ästhetisch bearbeitet.
Lena Ditte Nissen arbeitet seit ihren Studien in Film- und Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien Köln, der Universidad Nacional de Colombia (DAAD) und der Kunstakademie Düsseldorf als freischaffende künstlerische Forscherin und Filmemacherin an der Schnittstelle zwischen dokumentarischer und performativer Praxis mit Bezug zum klassischen Experimentalfilm und ethnologischen Forschungsstrategien. Ihre Filme, Performances und Installationen wurden in internationalen Institutionen und auf Filmfestivals gezeigt: darunter Museo de Arte Moderno Rio de Janeiro, Heidelberger Kunstverein, Museo del Banco de la República Bogotá, Filmmuseen in Frankfurt und Düsseldorf, KAI10 Arthena Foundation, Rubenstein Art Center, International Filmfestival Edinburgh, DOK Leipzig, CPH: DOX, 25FPS Zagreb, Festival de nouveau cinéma Montréal, Anthology Film Archive NYC. 2021/22 ist sie Stipendiatin der Sommerakademie Paul Klee in Bern, 2022 erhält sie das renommierte Jahresarbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds. Im Wintersemester 2022/23 war sie ÖAW/IFK_Junior Fellow, momentan ist sie in Karenz und das Fellowship daher unterbrochen.
Wie gehen wir heute mit den in Schweigen gehüllten nationalsozialistischen Täterschaften unserer Vorfahren um? In Konfrontation mit Texten aus der eigenen Familie wird in dieser künstlerisch-wissenschaftlichen Forschung mit Fokus auf Frauen als Täterinnen die ethnopsychoanalytische Methode der Deutungswerkstatt experimentell auf die Probe gestellt.