Novina Göhlsdorf
ifk Research Fellow


Zeitraum des Fellowships:
01. März 2020 bis 30. Juni 2020

Geborener Fremder? Der Autist als Figur der Gegenwart



PROJEKTBESCHREIBUNG

Untersucht wird der Autist als Diskursfigur in Forschung, Literatur, Popkultur und Alltag. Seit seiner Erstdarstellung um 1900 werden mit dem Autismus Ideen eines modernen Subjekts geformt, das bestimmt ist durch Selbst- und Fremdverhältnisse. Autismus-Konzepte spielen zentrale Beziehungsfragen des 20. Jahrhunderts durch, wenn sie etwa Modelle von Nahkommunikation entwerfen, Mutter-Kind-Bindungen normalisieren oder die zwischen Menschen und Maschinen problematisieren. Oft werden dabei Risiken profunder Alterität erwogen und die Grenzen des Humanen überhaupt vermessen. Jüngst gilt der Autist vermehrt nicht mehr als pathologisches Mängelwesen, sondern als „neuer Mensch“ des dritten Jahrtausends. Manche halten ihn für avantgardistisch, fähig zu neuartigen Beziehungen – mit Technologien, Tieren, Dingen oder der sinnlichen Umwelt. Der Autismus, dessen Geschichte verwoben ist mit der Genealogie moderner Subjektivität, steht heute emblematisch für die Schwelle zu einer vieldiskutierten Nachmoderne.



CV

Novina Göhlsdorf studierte Kulturwissenschaft, Romanistik und Theaterwissenschaft in Berlin. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Universität in Lüneburg, am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung und dem Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin. Dort promoviert sie mit einer Dissertation zur Diskursgeschichte des Autismus. Schwerpunkte ihrer Forschung sind psychiatrische und psychologische Wissenskulturen, die Geschichte und Theorie von Affekten und Emotionen sowie die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Literatur. Einmal im Monat erscheint ihre Kolumne „Glossar der Seelenkunde“ im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Publikationen

„Glossar der Seelenkunde: Empathie“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 17. Mai 2020, Nr. 20, S. 38; „The Magical Device. Temple Grandin’s Hug Machine“, in: Monika Ankele und Benoît Majerus (Hg.), Material Cultures of Psychiatry, Bielefeld (im Erscheinen); „Autismus. Diagnose der Gegenwart“, in: Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie. Zeitschrift für Psychoanalyse und Tiefenpsychologie, Heft 182, 50. Jg., 2/2019, S. 277–303; „Empathie“, in: Falko Schmieder und Georg Töpfer (Hg.), Wörter aus der Fremde. Begriffsgeschichte als Übersetzungsgeschichte, Berlin 2018, S. 88–95.

18 Mai 2020
18:15
  • Lecture
IFK @Zoom
NOVINA GÖHLSDORF

Der Autist als Figur der Gegenwart

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Während Autismus heute medizinisch als „tiefgreifende“ Störung gilt, sehen ihn viele nicht mehr als Pathologie, sondern als zukunftsweisende Existenzform. Im Vortrag werden jüngere Darstellungen des Autisten als Diskursfigur untersucht. Es wird gezeigt, wie diese Darstellungen zugleich die Verfasstheit gegenwärtiger Gesellschaften reflektieren.

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