Auf der Suche nach dem Ursprung des dekolonialen Denkens: Die Übersetzung von Hélène Clastres’ La Terre sans mal. Le prohétisme Tupi-guarani
Bereits 1975 veröffentlichte Hélène Clastres Das Land ohne Übel als Resultat der kulturanthropologischen Studien, die sie mit ihrem Mann Pierre Clastres bei indigenen Gesellschaften in Südamerika durchgeführt hatte. Diese Untersuchung utopischer Diskurse, des Widerstands gegen koloniale Unterdrückung und der Herrschaftskritik wird bei der Übersetzung in den Kontext des poststrukturalistischen Aufbrechens eurozentrischer Perspektiven der 1970er-Jahre gestellt. Die prophetische Rede der Schamanen als performatives Hervorbringen einer stets im Werden begriffenen, niemals realisierten Welt ist ein zentraler Aspekt der Untersuchung. Seine Auswirkungen auf die wachsenden Bemühungen um die Symmetrisierung von Bedeutungsstrukturen des Globalen Nordens und Südens machen dieses Werk auch in Zukunft für die Kulturwissenschaft ergiebig.
Hélène Clastres ist im deutschen Sprachraum – im Gegensatz zu Pierre Clastres – bisher nicht rezipiert worden. Ziel des Projekts ist die erste vollständige Übersetzung dieses Werks, das bereits ins Englische, Spanische, Italienische und Portugiesische übertragen wurde, ins Deutsche.
Paul Maercker, geboren 1981 in Deutschland, studierte Französisch und Philosophie in Wien und Paris mit den Schwerpunkten Übersetzungsanalyse, Poststrukturalismus und Dekonstruktion. Vertiefende Auseinandersetzung mit Cultural Studies, Psychoanalyse und Anthropologie. Seit 2008 ist er in Wien als Verlagslektor und freiberuflicher Übersetzer tätig. Zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen (u. a. Alain Badiou, Jean-Luc Nancy, Louis Althusser, François Jullien). Paul Maercker erhielt Übersetzerstipendien der Stadt Wien und der ALCA Nouvelle-Aquitaine.
Louis Althusser, Als Marxist in der Philosophie, Wien 2018; Alain Badiou, Kino. Gesammelte Schriften zum Film, Wien 2014; Franck Degoul, „Die Vergangenheit ist für alle da. Vom Umgang mit dem zombi im haitianischen Imaginären und seinen historischen Ursprüngen“, in: Gudrun Rath (Hg.), Zombies (= Zeitschrift für Kulturwissenschaften 1/2014), Bielefeld 2014, S. 35–47.
Nach einem Werkstattbericht zur Übersetzung von Hélène Clastres’ „La terre sans mal. Le prophétisme tupi-guaraní“ (1975) diskutiert der Übersetzer Paul Maercker mit Andreas Gehrlach, Morten Paul und Karin Harrasser über das Übersetzen als Praxis der historischen Rekontextualisierung.