Juden als V-Leute der Wiener Außenstelle des Nachrichtendienstes der Wehrmacht: Loyalität und Verrat in Geheimdienstkrieg und Holocaust
Die Wiener Außenstelle des Nachrichtendienstes der Wehrmacht beschäftigte während des Zweiten Weltkrieges etliche V-Leute, die nach den NS-Gesetzen als Juden galten. Einige von diesen arbeiteten gleichzeitig als Kuriere für das Jüdische Rettungskomitee in Budapest, die Vertretung der Jewish Agency in Istanbul, einen von Istanbul aus operierenden Agentenring des amerikanischen Geheimdienstes sowie den ungarischen Armeegeheimdienst. Dieses komplexe Mehrfachspiel und die ihm zugrunde liegenden multiplen und wechselnden politischen, ethnischen und persönlichen Loyalitätsbezüge werden vor dem Hintergrund des deutsch-alliierten Geheimdienstkrieges und des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden untersucht. Dabei werden „Rollenspiel, Metamorphose und Seitenwechsel“ als „soziale Überlebenstechniken“ des in vielfältige Treueverhältnisse eingebundenen modernen Individuums und der „Verräter“ als dessen „paradigmatische Figur“ herausgearbeitet.
Winfried Meyer studierte Germanistik und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Freien Universität Berlin und der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen. Seit 2003 führt er eigene Forschungsprojekte als Mitarbeiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin durch. Er wurde mit dem Dorothee-Fliess-Preis für Widerstandsforschung der „Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944“ ausgezeichnet.
Klatt. Hitlers jüdischer Meisteragent gegen Stalin: Überlebenskunst in Holocaust und Geheimdienstkrieg, Berlin 2015; „Sein oder Nichtsein: Der Wiener Jude Dr. Johann Koessler als V-Mann ,Kolberg‘ des deutschen und Doppelagent, ,Hamlet‘ des britischen Nachrichtendienstes“, in: Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies (6), Nr. 1/2012, S. 55–81; Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht. Mit einem Begleitwort von Klaus von Dohnanyi, Frankfurt/Main 1993.
Ein Essay von IFK_Research Fellow Winfried Meyer in der ZFG Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3/17.
Der V-Mann Klatt war der mysteriöseste Agent der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges. Er geisterte nach 1945 als schillernde Figur durch die Spionageliteratur – dabei waren seine geheimen „Max-und-Moritz-Meldungen“ frei erfunden, wie der Historiker und IFK_Research Fellow Winfried Meyer in einem Gastbeitrag für science.orf.at schreibt.
Winfried Meyer (Technische Universität Berlin, Zentrum für Antisemitismusforschung) war im Sommersemester IFK_Research Fellow am IFK und hat ebendort und ebendann am Aufsatz "Hans von Dohnanyis Kerze" gearbeitet.
In der Abwehr, dem Nachrichtendienst der deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges, war er als „der Jude Klatt“ bekannt. Seine „Max“-Meldungen aus dem Hinterland der sowjetischen Front waren legendär und blieben für die Geheimdienste der Briten und Amerikaner noch über Jahrzehnte „eines der größten Rätsel des Krieges“.