Berge, die sich ausbreiten, Bäume, die Menschen ähneln, und über die Seiten einer Handschrift kriechende Kreaturen: In Sahagúns ethnografischer Enzyklopädie über die Welt der Azteken gerät die Ordnung der Natur gründlich durcheinander. Ein Vortrag über die Frage, was im Moment der Entdeckung Amerikas mit den Wissenskategorien der Alten Welt passiert.
Die Historia general de las cosas de nueva España wurde Mitte des 16. Jahrhunderts vom spanischen Franziskanermönch Bernardino de Sahagún in Zusammenarbeit mit aztekischen Informanten verfasst und stellt den Versuch einer Aufzeichnung „aller Dinge Neu-Spaniens“ dar. Formal an der Tradition antiker Naturenzyklopädien orientiert, ist dem Werk doch die Konfrontation mit der Vielfalt der Phänomene Mexikos und den aztekischen Weltbeschreibungskategorien anzumerken, die sich in seiner Ordnung als mäandernde Textpassagen und wandernde Bilder Platz verschaffen. Die Historia general ist nicht nur an der Schwelle historischer episteme zwischen Mittelalter und Neuzeit zu verorten, sondern auch an der Grenze zwischen Alter und Neuer Welt. Rosa Eidelpes geht den Transformationsprozessen nach, die tradierte Text- und Wissensformate in der Begegnung mit der fremden Natur durchlaufen – und macht sich so zugleich auf die Spurensuche nach Diskontinuitäten und Brüchen in den scheinbar universalen, abendländischen Natursemantiken.
Rosa Eidelpes dissertierte über das Verhältnis von Literatur und Ethnologie und über die primitivistische Entgrenzung der Mimesis im Umfeld des französischen Surrealismus. Seit 2015 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, FU Berlin, derzeit ist sie IFK_Research Fellow.
Ort: IFK
Zurück