Während mehr als die Hälfte der menschlichen Kommunikation nonverbal ist, macht vor allem der Tonfall die Sinnhaftigkeit von Botschaften aus. Welche Erwartungen stellt man an die Qualität der Stimme und die Artikulation eines Staatsoberhaupts? Und wie kulturbedingt ist die Korrelation zwischen sozialem Status und Tonhöhenverlauf?
Im 20. Jahrhundert bilden sich Stimmstereotype, die unsere Wahrnehmung von Grund auf prägen. Zu den frühesten Beispielen zählt die Aufnahme der Hunnenrede (27.07.1900), in der Kaiser Wilhelm II. zum Einsatz deutscher Truppen in China aufruft. Über ein Jahrhundert hinweg galt die Aufnahme als authentisch, aus einem schlichten Grund: Das rollende „r“ auf der Wachsrolle des Phonographen („Pardon wird nicht gegeben“) assoziierte sich im Deutschen Reich mit der Kraft der hunnischen Krieger. Um die deutsche Herausforderung zu meistern, wollte der stotternde britische König Georg VI. die Pausengliederung üben, bevor er am 03.09.1939 eine Kriegserklärung an das Deutsche Reich im Radio bekannt gab. Das Format, in welches die Stimme des Herrschers vor der Übertragung übersetzt wird, reflektiert Erwartungen kollektiver Art. Welche Tonhöhen und Rhythmen werden im Zuge einer solchen Übersetzung bevorzugt oder ausgefiltert? Die Analyse des Kulturphänomens „Putins Stimme“ soll einiges zur Lösung des Rätsels beitragen.
Dmitri Zakharine lehrt Geschichte an der Universität Freiburg. Er ist promoviert und habilitiert, besitzt die Lehrberechtigung für Deutsch, Russisch, Kultursoziologie und Neuere Geschichte. Seine Hauptarbeitsgebiete sind nonverbale Kommunikation und frühe Tonmedien. Derzeit ist er IFK_Senior Fellow.
Ort: IFK
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