In Orson Welles' Verfilmung des "Process" trifft K. in seinem Großraumbüro unversehens auf einen Computer. Einer von vielen Einfällen des größten Theatralikers des Kinos, die zeigen, was Kafka erzählt: Romanmenschen durchlaufen bei ihm nicht mehr Stationen ihrer Bildung; Geschichten sind aus Institutionen gemacht, die das Leben formatieren.
Institutionenromane – wie Rüdiger Campe solche Romane nennt – kehren am Anfang des 20. Jahrhunderts um, was Goethes Bildungsroman Wilhelm Meister einmal begründet hatte. Das Individuum durchlief da eine Zeitstrecke, auf der es seine Gestalt gewann und die das Entwicklungsgesetz seines Lebens vorstellte. Dabei passierte der Held auch die Agentur dieses Gesetzes: in Goethes Roman die Turmgesellschaft, die Biografien lenkt und notiert. Was, wenn man die Geschichte der Turmgesellschaft selbst schreiben wollte? Das Ergebnis wären Institutionenromane, wie Kafka sie geschrieben hat. Campe hat eine kleine Gruppe von solchen Romanen zusammengestellt: Robert Walsers Jakob von Gunten zum Beispiel; James Joyce' Ein Porträt des Künstlers als junger Mann oder Thomas Manns Zauberberg.
Institutionenromane lösen auf radikale Weise das Problem, das der Roman in unserer Kultur aufgeworfen und das eine neue Epoche der Literatur eingeleitet hat: jenseits aller „poetischen“ Formen dem Leben selbst Form zu geben. Im Institutionenroman wird Form sozial, und Orson Welles hat das ins Kinobild gesetzt.
Rüdiger Campe ist Professor für Germanistik und Komparatistik an der Yale University und im Wintersemester 2016/17 IFK_Gast des Direktors.
Ort: IFK
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